Spiel, ernsthaft! Das Potential von Spiel für urbanes Engagement und Beteiligung.

Heutzutage experimentieren Zivilgesellschaft, Stadtplaner und Politik mit verschiedenen Methoden und Empowerment-Ansätzen, um Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, in unseren heterogenen und manchmal anonymen Städten zusammenzukommen. Der Artikel untersucht das Potenzial von Spielen und Gamification. Wir fragen: Wie kann das Spielen von Spielen mit ernstem Hintergrund (serious games) Bürgerinnen und Bürgern helfen, sich zu verbinden, den Schritt in die Öffentlichkeit zu machen oder Gemeinsinn zu entwickeln? Wie kann mit dem Ziel des Empowerments Spiel und Gamifizierung mit Partizipation verknüpft werden?

Ein Qualitätskriterium europäischer Städte ist ihre Fähigkeit, die Vielfalt der Interessen und Kulturen ihrer Bewohner sichtbar zu machen. Diese Fähigkeit, heterogene öffentliche Räume zu schaffen, ist ein Fundament ihrer lokalen Demokratie und eine Bedingung für generalisiertes Vertrauen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Im Austausch zwischen Bürgergruppen mit unterschiedlichen Auffassungen und Interessen wird auch Innovation möglich. Denn erfolgreiche Praktiken aus einem Bereich beweisen ihr Innovationspotenzial, indem sie in anderen Feldern übernommen werden oder die weiteren Diskurse und Räume mitprägen. Stadt und städtische Zivilgesellschaft sind wandelfähige Konfigurationen, gerade weil sie die Differenzen nicht ignorieren sondern ausbalancieren: Konflikt und Konsens, Gestaltungswillen und Konservatismus, Lebendigkeit und Entspannung, Unternehmergeist und Beharren.

Aus der Sicht des einzelnen Bürgers ist dies postiv zu sehen. Denn die urbane Vielfalt europäischer Städte ermöglicht ihnen, leichter Gruppen Gleichgesinnter zu finden. Je größer die Stadt, desto höher die Wahrscheinlichkeit dazu. Doch andererseits kann die moderne Stadt auch ein unfreundlicher und isolierender Ort sein. Deshalb haben die Zivilgesellschaft und ihre Institutionen eine in zwei Richtungen weisende Verpflichtung…

  • Menschen zu helfen, ihren freien und nicht kontrollierten privaten oder halböffentlichen Raum zu finden
  • Bürgerinnen und Bürgern Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit anderen zu verbinden und ins öffentliche Leben einzubringen.
  • Bürgern Möglichkeiten zum (gemeinsamen) Gestalten, zum kreativ sein, geben..

Unter dieser gemeinsamen Aufgabenstellung können sich Zivilgesellschaft und Staat als partnerschaftliche Kuratoren des öffentlichen Raums sehen. Jenseits der Befriedigung elementarer Bedürfnisse und im Lichte des demokratischen Ideals motivieren sie die Bürgerinnen und Bürger, die Stufen der Partizipationsleiter zu erklimmen. Beginnend bei einer passiven Haltung hin zu einer aktiven Rolle, ihrer Interessen und Perspektiven in die öffentlichen Debatten einbrindend. Die Herausforderung ist, Menschen zu helfen, sich in Beziehungen zu anderen zu begeben und sie zum Verlassen ihrer privaten (und komfortablen) Sphäre zu ermutigen. Staat und Bürger benötigen Instrumente und Ideen, die ihnen helfen, dies umzusetzen.

Ein verbreiteter Ansatz bei städtischen Beteiligungs- oder Planungsprozessen sind hier partizipative Workshops, Open Spaces oder Zukunftswerkstätten, die die Bürgerinnen und Bürger „mobilisieren“, „aktivieren“ oder „anhören“. Jedoch fühle ich, dass Empathie und Neugierde gegenüber den jeweils Anderen Erfolgsbedingungen sind. Allein unterstützt ihre Methodik und Durchführung den Erwerb dieser Haltungen nicht immer. Die beteiligten Bürger, Planer, Politiker oder Quartiersmanager arbeiten schon zusammen in einem gemeinsamen Raum, sie reden auch miteinander – aber entsteht hier die Freude am Gestalten oder der magische Moment? Das Unerwartete, die Disruption, die Innovation in Form der wirklich guten Frage, die die neue Lösung vielleicht schon enthält? Deshalb müssten wir Ansätze finden, die solchen sinnstiftenden Austausch, Neugier und Empathie besser ermöglichen. An dieser Stelle kommen Spiele zum Zug:


Spiele können Menschen helfen,

  • Die Öffentlichkeit zu betreten
  • Mit anderen Gruppen und Bürgern zu interagieren
  • Ihre Umgebung mitzugestalten
  • Ihre inneren und äußeren Welten mit vielen Sinnen zu entdecken

Die Einbindung von Spielen in Empowerment durch Spiele und gemeinsames Spielen bringtt drei Ansätze zusammen: Spiel, Gamification und Partizipation.

Das ist nicht wirklich eine neue Erfindung. Jeder kennt Brettspiele wie Backgammon oder Monopoly. Backgammon ist etwa in manchen Teilen unserer Welt eine öffentliche Aktivität, der man in Cafés nachgeht. Dies bedingt, dass die Kenntnis der Spielregeln der erste Schritt in Richtung einer sozialen Rolle ist. Das Spiel ist hier ein Türöffner oder es bricht das Eis zwischen den Spielern. Monopoly hat eine andere Rolle. Es wurde einst als Simulationsspiel konzipiert, um jungen Menschen die verheerenden Folgen eines deregulierten Immobilienmarkts nahe zu bringen. Wenn man über andere Spiele nachdenkt, würde man noch andere Spieltypen und Zwecke, denen sie dienen, entdecken.

Das Beteiligungspotenzial von Spielen kann aktiviert werden, wenn das Spielerische mit einem ernsthaften Ziel und einem nicht-spielerischen Kontext verknüpft wird. Dieser Kontext ist etwa ein Stadtviertel. Zwei Stadtplaner demonstrierten bei der re:publica 2017 ihre Idee, wie Spiele „zur Schaffung von langfristigem und bedeutenden Engagement in Nachbarschaften“ beitragen können. Sie nannten dies „gamicipation.“[BOY/DROHSEL 2017]. Der schweizerische Verein demokrative bietet mit Brettspielen eine „experimentelle Lernumgebung, welche dazu anregt, sich spielerisch mit Kernelementen der Demokratie und ihren Zielkonflikten auseinanderzusetzen.“ Künstlerisch ausgerichtete Bildnerinnen wie Christine Frick nutzen Actionbound mit jungen Gruppen und in Lehrerfortbildungen. Oder schauen wir in die digitale Spielewelt: Das Play Creative Gaming Festival inspiriert nicht nur zu neuen Figurendesigns, sondern ist auch ein Ort, um über „eine bessere Welt durch kreatives Gaming“ nachzudenken, beziehungsweise darüber, wie Ernst und Spiel zusammengehen können (wie im Workshop Let’s Play, seriously!). Am Ende dieses Artikels habe ich einige Links zusammengefasst. Sie finden weitere Beispiele im Internet, wenn Sie nur danach suchen.


Spiel: Eine natürliche Angelegenheit

Menschen mögen Spiele, weil sie diese als Pause im Alltag erleben. Spielen öffnet uns die Augen für neue Welten und Perspektiven. Zudem weckt es unsere Neugierde, stärkt unsere Kreativität und bricht unseren Leidenschaften und Motivationen zum Handeln Bahn.

Ein Spiel fördert die Neugierde und stärkt die Fähigkeiten, Dinge zu bemerken, zu gestalten und handeln, und sich zu anderen Menschen zu verhalten. So fördert es die Bildung sozialer Gruppen. [HUIZINGA 1949:13] Obwohl Spiel und Gaming allzu oft mit kindlichen Aktivitäten assoziiert werden, hat jeder und jede einmal die Ernsthaftigkeit von Spielen erfahren. Spätestens, wenn man von einem Spiel absorbiert wird, vom Wettbewerb oder eine Gruppendynamik.


Game versus Play?

Theoretiker, Bildner und Engagierte die über Gamification im Kontext von Beteiligung nachdenken, unterscheiden zwischen play und game.

Zunächst einmal gibt es kein game ohne Regeln. Wir kennen die Extremform von Spielen, in denen zu strikte Regeln oder Ergebniserwartungen die Spiellust erlahmen lassen, etwa ohne die Freiheit, entscheiden zu können, mit wem man spielen möchte oder unter welcher Wertemaßgabe man spielen will: Soll Wettbewerb, Kooperation oder einfach das Sich-Verausgaben das Spielziel bestimmen? Auf der anderen Seite kennen wir auch Spielsituationen, die frustrierend sind, weil klare Regeln fehlen. Das regelbasierte Arrangement innerhalb der Kategorie „Spiel“ nennt sich „game“.

„A game is a system in which players engage in an artificial conflict, defined by rules, that results in a quantifiable outcome.“

SALEN/ZIMMERMAN 2004: 94

Games beinhalten, was Salen/Zimmerman einen künstlichen Konflikt nennen. Man kann auch von einer Herausforderung sprechen (weil der Konflikt oft nicht zwischen den Spielern verortet ist, aber in der harten Nuss enthalten ist, die geknackt werden soll. Am Ende lockt ein Ergebnis in Form eines Gewinns oder Highscores. „Play“ kann man hingegen als zum Ende hin eher offene Spielform sehen, die durch eine weichere Struktur gestaltet wird. „Games are a subset of play.“ [SALEN/ZIMMERMAN: 2004

Diese Unterscheidung ist nicht unwichtig, um die verschiedenen Ansätze von Gamification zu beschreiben. Grundsätzlich beschreibt das Wort Gamifizierung den Transfer von Spielaspekten in andere Kontexte. Etwa, indem man spielerische Elemente in weniger spielerische Kontexte einbaut oder indem man Game-Design in diesen Kontexten nutzt. [DETERDING/KHALED/NACKE/DIXON 2011]

Spielmechanik und Spielprinizip (game mechanics und gameplay) drücken eine Verhaltenserwartung aus (zum Beispiel „Wettbewerb“ oder „Konsumieren“). Oder sie geben den Spielenden Verhaltensanreize etwa durch Stupser in die gewünschte Richtung oder Auszeichnungen, Boni oder Highscore-Tabellen. Mit Huizinga kann man sagen, dass Gamifizierung die menschliche Spiellaune als die außergewöhnliche emotionale Erfahrung schlechthin nutzt, um die Nutzererfahrung in weit langweiligeren sozialen Kontexten anzureichern:

„Der Spielmodus ist einer des Enthusiasmus‘ und Entzückens und er ist heilig oder festlich in Übereinstimmung mit dem Anlass. Ein Gefühl der Aufgeregtheit und Spannung begleitet die Spielhandlung. Fröhlichkeit und Entspannung folgen.“

HUIZINGA 1949: 132

Spiel auf urbane Beteiligung angewendet

Play und game bedingen einander. Das Eine spricht mehr die Haltungen an, wie verspielt, sozial oder neugierig sein. Game kommt unserem Bedürfnis nach strukturiertem Verhalten im Sinne von Fortschritt, Gewinn, Erfolg oder Ergebnisse gestalten entgegen.

Games sind in einem längeren Spielprozess eingebettet. Wenn man Spielansätze auf die Stadt überträgt, kann man eigentlich auch jeden Bürger als einen Spieler sehen, der in verschiedene Spiele mit verschiedenenen Regeln und Prinzipien und mit verschiedenen Spielern involviert ist.

Zentral ist der Motivator, warum man ein Spiel anfängt, warum man seinen privaten Rückzugsraum verlässt oder zum aktiveren Bürger wird. Kein Spiel ohne das Spielerische, kein öffentliches Engagement ohne das innere Bedürfnis nach sozialer Nähe oder ohne Neugierde gegenüber den Mitmenschen.

Diese Parallelen führen zu einem Ansatz, der Menschen durch spielen verbindet. Der ihnen ermöglicht, ihrer Verspieltheit zu folgen, den Alltag beiseite zu schieben und etwas Besonderes zu erleben, somit einen Rahmen mitzugestalten, der Neugierde weckt. Dies macht deutlich, das Spielen ein partizipativer Prozess ist.


Gründe für Partizipation durch Spiel

Die Vorteile der Kombination ernster Spiele mit Beteiligungszielen und-prozessen beschrieben Drohsel und Boy in ihrem re:publica-Vortrag:

  • Spiel ermöglicht Menschen zu interagieren. Sie öffnen Türen oder Räume und reißen soziale Barrieren nieder;
  • Spiel lädt Menschen ein, eine spielerische, kooperative, oder ergebnisorientierte Haltung einzunehmen oder ihr zur folgen;
  • Die Regeln eines Spiels können einen längeren Prozess stabiliseren;
  • Spieler werden befähigt, ihre sozialen Grenzen hinter sich zu lassen. So können sie aus der Perspektive Anderer wahrnehmen und denken, sich der Erforschung und Inspiration öffnen oder ein kognitives Metalevel erreichen. Alles Bedingungen für Kompetenzgewinn. 
  • Spiele helfen, Systeme und komplexe soziale Themen zu begreifen.
  • Regelmäßiges Spielenund kreative Spiele ermöglichen Spielern, Meisterschaft zu entwickeln und von passiven Spielern zu Mitgestaltern der Spiele zu werden.

Methodische Konsequenzen

Um eine derart erfüllende und reiche Erfahrung auch real zu ermöglichen, können verschiedene Aspekte berücksichtigt werden.

Außergewöhnlicher Rahmen

Der Spielrahmen ist durch einen Unterschied vom Alltag beziehungsweise durch das das Spiel „umwehende Geheimnis“ (Huizinga) gekennzeichnet. Spieler teilen besondere Momente. Schaffe spezielle Gelegenheiten und ermögliche diese vertrauliche Begegnung.

Freiheit

Zum Zweiten muss man als Spielleiter Kontrolle abgeben, Die Geschichte der Serious Games ist stark von der Idee der Simulation und Wiederholung geprägt. Moderne Ansätze stellen das Ideal der prioritären Reproduktion von Realität in Frage (wie es etwa bei Simulationen von Parlamentssitzungen oft geschieht). Heute geht es mehr in Richtung Training persönlicher Fertigkeiten, was ein individueller Prozess ist. Zu rigide Spielregeln führen entweder zu komplizierten Regeln oder limitieren die Rollen zu sehr. Oder sie führen zu zu wenig kognitiv-emotional-praktischer Erfahrung des Spielenden.

Erfahrungsbandbreite ermöglichen

Drittens wird eine Bandbreite an Erfahrungsmöglichkeiten benötigt. Es geht dabei um Emotion, Leidenschaft und Ausprobieren, aber auch um Strategie oder Logik. Gestalte Spiele, die diese Bandbreite unterschiedlicher Erfahrungen ermöglichen. Escape Rooms, Niedrigseilgärten, Performance-ähnliche Spiele oder Rollenspiele sind nur Beispiele, die zeigen, wie man Spiele anreichern kann.

Konsistentes Spielprinzip

Die Ziele, Regeln, Transaktionsmodi oder Gelegenheiten der Spielenden bestimmen die Erfahrung. Demzufolge soll man beim Transfer von Spielen in andere Kontexte genauer überprüfen, ob man die Bedingungen innerhalb dieser Kontexte verstanden hat und ob die das Spielprinzip bestimmenden Grundannahmen dazu passen. Zudem müssen sie mit den ethisch-normativen Werten einer demokratischen Kultur zur Deckung gebracht werden, wie etwa Fairness oder Gewaltfreiheit.

Reflexion und Schlüsse ziehen

Je dynamischer und reichhaltiger ein Spielprozess erlebt wurde, desto schwieriger ist kann es für die Teilnehmenden sein, sich diesen von einer Metaebene aus zu erschließen. Trainer, Lehrer oder andere Anleitende sollten genug Raum für die Auswertung geben und eine angemessene Methodik bereithalten, die es den Teilnehmenden erlaubt, Schlüsse aus dem Erlebten zu ziehen.


In diesem Sinne: Durch Rollenspiel, Simulationen, Computerspiele, Nachbarschaftsspiele, Karten- und Brettspiele und alle anderen Arten, Menschen zum Spiel anzuregen:

Through play we might change the game.


Literatur & Links

Are you interested in exploring the participatory potential of game and play? Would you like to broaden your approach or discuss it with game designers, urban activists or educators? Then we would be happy, if you’d share your thoughts with us.