Zivilgesellschaft ist die demokratische Infrastruktur unserer Gesellschaft. Was wir tun müssen, um sie resilienter zu machen.

Wenn Rechte die demokratische Kultur in einem Ort beeinträchtigen, steht sie ihnen im Weg. Wenn Staaten Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen, hilft sie. Wenn Schwache Hilfe benötigen, springt sie ein. „Die Zivilgesellschaft.“ Der Begriff beschreibt viele Organisationen und Gruppen: Transnationale Organisationen, knallharte Interessenvertreter, einzelne ehrenamtliche Initiativen, elitäre Charity, basisdemokratische Gruppen oder den e. V. im Ladenlokal an der Ecke. Ihr gemeinsamer Nenner ist, dass sie öffentlich als „gut“, „couragiert“ und oft auch „stark“ wahrgenommen werden. Doch kann man das noch sagen? Wer das Gute stärken möchte, muss mehr dafür tun, als zu loben. Auch die Organisationen selbst müssen sich entwickeln. Es geht um die demokratische Relevanz von Engagement und sozialem Kitt.

Je mehr sich in Politik, Wirtschaft und unter Bürgern auch Werte und Haltungen vermehren, die nicht „gut“ sind, drängt sich die Frage auf, wer denn dann Pegida, nationalistische Kulturvereine, Kampfsportgruppen oder Bürgerwehren sind. Sie sind auch Zivilgesellschaft, dessen sind sich heute Viele bewusster. Wenn aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger mit demokratieskeptischen Haltungen sich selbst befähigen, Strukturen aufbauen, Vereine initiieren und sich für ihre Ziele einsetzen, was bedeutet das dann für unsere Vorstellung von „der Zivilgesellschaft“ als funktionalem Teil der demokratischen Gesellschaft? Denn theoretisch funktioniert unsere Gesellschaft nicht ohne demokratische Organisationen:

Aus einer Outputperspektive betrachtet organisieren sie Interessen, bieten Dienstleistungen, Bildung und HIlfe an oder unterstützen komplementär Wohlfahrtsaufgaben des Staats. Mit der pluralistischen Brille betrachtet sind zivilgesellschaftlichen Organisationen Koproduzenten der demokratischen Öffentlichkeit. Sie machen Interessen sichtbar, erheben ihre Stimme oder repräsentieren Stimmen und Gegenstimmen in komplexen Diskussionen ab. Schwache demokratische Organisationen, schwache demokratische Öffentlichkeit. Nun haben wir auf die Outputseite der Zivilgesellschaft geschaut, auf ihre Leistungen, Produkte und Positionen.

Darüber hinaus hat sie jedoch eine mit ihrer Inputseite verbundene Qualität, die wieder mehr in unseren Fokus geraten sollte: Als Produzentin sozialen Kitts, als Schule für Demokratie, als safe space oder als Ort für self-empowerment sind demokratische zivilgesellschaftliche Akteure wichtig, weil sie als Infrastruktur existieren.

Als Schule für Demokratie, als Safe Space, als Ort für Selfempowerment oder Produzentin sozialen Kitts ist die Zivilgesellschaft die kritische Infrastruktur der Demokratie.


Demokratische Infrastruktur

Zusammen bilden die demokratisch gesinnten NGOs, Bürgerinnen und Bürger, Initiativen oder Netzwerke die demokratische Infrastruktur unserer Gesellschaft. Zu ihnen gehört, wer vor allem auf der Inputseite Wesentliches leistet. Nun fühlt sich „die Zivilgesellschaft“ oft allein gelassen, gerade weil ihre Bemühungen auf dieser Seite weniger Unterstützung erfahren, als ihre Outputs. Anders gesagt: Der Staat oder private Förderer sind seit Jahrzehnten zwar vermehrt an der Förderung innovativer Projekte, effizienter Organisation, Professionalisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen interssiert. Gleichzeitig wurden aber etwa die frewililigen Leistungen in Kommunen drastisch heruntergefahren oder Strukturförderungen sind quasi nicht existent. Wer heute als zivilgesellschaftliche Organisation bestehen will, muss jede Menge Projekte entwickeln und durchführen. Manche haben darüber immer weniger Zeit für ihre demokratische Kernaufgabe, da zu sein für Andere, Mitglieder zu empowern, oder Dinge miteinander diskutieren.

Herausforderung: Systematisch Demokratie fördern

Gerade bei der Wahrnehmung der letztgenannten Funktion müssen Organisation systematischer unterstützt werden. Civil Resilience gibt es nicht für umsonst und es kann sie überhaupt geben, wenn der Aufwand, der mit dem Wort „demokratisch“ verbunden ist, mehr wertgeschätzt wird.

1. Organisationsentwicklung im Fokus

Alle Organisationen, auch die etablierten Vereine und Netzwerke, müssen sich ihrer demokratischen Funktion wieder bewusster werden. Wir brauchen Programme für demokratische Organisationsentwicklung. Schwerpunkte sollten dabei sein:

  • qualitative Partizipation und Mitgestaltung ermöglichen,
  • neue Menschen einbeziehen können,
  • die diverser und multikultureller werdende Gesellschaft in ihren Strukturen und ihrer inneren Kultur besser abbilden,
  • institutionelles Handeln in Einklang mit demokratischen Werten reflektieren und den Dialog über ihren Beitrag zur demokratischen Kultur führen,
  • Transparenz nach innen und außen.

2. Umbau bestehender Förderprogramme

Die bestehenden Förderprogramme müssen Deliberation und Partizipation mehr Wert geben. Der Wert vorhandener Infrastruktur muss erkannt werden, ihre Aufrechterhaltung muss ermöglicht werden. Ziel muss es sein, das soziale Kapital, das in der Zivilgesellschaft durch Engagement und Kooperation aufgebaut wurde, dauerhaft zu bewahren.

Die Bundesregierung hat sich in ihrer Engagementstrategie zu diesem Ziel bekannt (BMFSJ, S. 20), jedoch kommt sie bis auf die Idee, eine „Deutsche Engagementstiftung (DES)“ zu gründen, nicht zu systemisch relevanten Schlüssen. Im Gegenteil, es besteht zu befürchten, dass das Ziel der „Sicherstellung wirkungsorientierter Engagementförderung“ (BMFSJ, S. 26) wieder nur die Outputseite betrachtet. Alles auch richtig, aber für den sozialen Zusammenhalt gilt eine andere Rechnung: Zivilgesellschaftliche Resilienz entsteht aus dem Zusammenspiel von Persistenz, Anpassungsfähigkeit und Innivationsfähigkeit. Geld gibt es of nur für Letzteres. Das ist nicht nachhaltig. Demnach sollten Förderprogramme und Unterstützungen

  • in Förderkriterien demokratisch verfasste und um Partizipation und Mitgestaltung bemühte Akteure honorieren.
  • mehr Strukturförderung auch für kleinere Akteure vorsehen, auch derjenigen, die nicht in einem Dachverband der freien Wohlfahrtspflege organisiert sind.
  • Orte für die Zivilgesellschaft schaffen. Civil Society Hubs oder Häuser der Demokratie fördern, ausbauen und öffnen.
  • das EU-Programm Europa für Bürger in den relevanten Bereichen stärken und stark ausbauen.

3. Kultur der Kooperation

Infrastruktur zu pflegen ist eine dauerhafte Aufgabe von Staat und Zivilgesellschaft. Die Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft hängt somit auch davon ab, wie Staat und Organisationen Kooperation gestalten.

  • Kommunikations- und kross-sektorale Kompetenz in Zivilgesellschaft und Verwaltung entwickeln.
  • Befähigung der Menschen an Schnittstellen in Staat und Zivilgesellschaft zu horizontal ausgerichteter Zusammenarbeit.
  • Unterstützung der Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Stärkung ihres Verständnisses als Partner in der Pflege der Engagement-Infrastruktur.

Nachweise

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMFSJ (2016). Engagementstrategie BMFSFJ. Strategische Ausrichtung der Engagementpolitik,

Folke, C., Carpenter, S. R., Walker, B., Scheffer, M., Chapin, T., & Rockström, J. (2010). Resilience Thinking: Integrating Resilience, Adaptability and Transformability. Ecology and Society, 15(4). http://www.jstor.org/stable/26268226