Sektorübergreifende Kompetenz in Organisationen

Was ist die Grundlage für sektorübergreifende Zusammenarbeit? Wie hängt sie mit Kreativität zusammen? Wie können Organisationen sektorübergreifende Kompetenzen fördern? Die erste Welle der Innovation bestand aus neuen Ad-hoc-Gruppen, Stabsstellen, Labors oder Projektteams. Jetzt besteht die Herausforderung darin, kreative Kompetenz in der Organisation zu verankern.

Soziale Innovation entsteht, wenn die Ideen und Praktiken einer Gruppe von Bürgern zu einer Inspiration für andere werden und letztlich die allgemeine Art und Weise, wie die Gesellschaft handelt und denkt, beeinflussen. Das „Soziale“ bezieht sich auf das Ziel, einen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Bedingungen, der bürgerlichen Praxis, des politischen Engagements oder anderer öffentlicher Aktivitäten zu leisten.

Typischerweise kann eine Idee nach einer Inkubationszeit über Systemgrenzen hinweg an Zugkraft gewinnen. Bei solchen Innovationen handelt es sich häufig um „neue Kombinationen oder Mischformen bestehender Elemente, die an sich nicht völlig neu sind,“ und in ihrer Entwicklung „überschreiten sie organisatorische, sektorale oder disziplinäre Grenzen.“ (Sanders, Mulgan, Tucker, Ali, 2007)

Zum Beispiel kann eine Planungsmethode zu einem Trend werden – wie Design Thinking in den letzten Jahren. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich des bürgerschaftlichen Engagements ist die Idee positiver Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit, die zu Frauenquoten in Wirtschaft und Politik geführt hat. Das wurde zunächst in Basisgruppen erprobt und entwickelt und setzte sich im Laufe der Zeit immer mehr durch. In Städten ließen sich Aktivist*innen von E. Ostroms Forschung über die Allmende inspirieren und übertrugen die Idee der „Commons“ auf den städtischen Kontext. Heute bereichern urbane Gemeingüter die Landschaft des bürgerschaftlichen Engagements. Die Idee der deliberativen Demokratie selbst begann als Experiment, um die bestehenden politischen Strukturen um innovative Praktiken mit einem partizipativen, beratenden und diskursiven Schwerpunkt zu ergänzen.

Kreativität ist eine Fähigkeit, die uns hilft, die Fülle an Informationen zu verarbeiten, die unser Gehirn sammelt und Verbindungen zwischen verschiedenen Informationen herstellen, um eine Lösung für ein Problem auf eine neue Art und Weise zu finden oder zu einem neuen Verständnis für das Problem selbst zu finden.“

Zimmermann, Leondieva & Gawinek-Dagargulia, 2018

Über Gruppenprozesse zur initialen Förderung von Kreativität hinaus werden auch Gelegenheiten für vertiefendes kollektives Nachdenken benötigt. Insbesondere wenn in einm Gedanken ein Innovationspotenzial steckt, kann dies leichter sichtbar werden, wenn Menschen beteiligt sind, die idealerweise die verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven oder Sektoren repräsentieren. Die Fähigkeit, gemeinsam zu gestalten und die Innovation in ihren Kontext zu übertragen, kann als „sektorübergreifende Kompetenz“ bezeichnet werden.

Sektorübergreifende Kompetenz ist die Fähigkeit, sich über verschiedene Teile der sozialen Systeme hinweg zu verständigen und zusammenzuarbeiten. Damit sich eine kreative Idee in einer ganzen Gesellschaft durchsetzen kann, müssen ihre Autor*innen und Befürworter in der Lage sein, sie mit anderen zu teilen und sie von ihrem Wert zu überzeugen. Autor*innen und andere verwenden oft eine interne Sprache und folgen einer internen Logik, die als eine Art Fremdsprache wahrgenommen werden kann. Sektorübergreifende Kompetenz kann uns helfen, diese Sprache zu lernen.

Zimmermann, Leondieva & Gawinek-Dagargulia, 2018

Aspekte sektorübergreifender Kompetenz

  • Wissen über Systemsprachen und Gewohnheiten
  • Sprachliche Kreativität: Fähigkeit, neue Dinge zu beschreiben
  • Kenntnis von verschiedenen Funktionen und Operationen, wie sie in anderen Teilen des Systems ablaufen
  • Offenheit und Einfühlungsvermögen gegenüber den Anforderungen und Bedürfnissen Anderer
  • Verhandlungsgeschick
  • Fähigkeit, das eigene Handeln in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und sich nach einer strukturellen oder systemischen Logik zu organisieren
  • Mit Ambiguität und unerwarteten Situationen umgehen
  • Machtverhältnisse reflektieren und gestalten
  • Ethische Prinzipien wie Fairness und Glaubwürdigkeit schätzen und ihnen folgen
  • Konstruktive Haltung zu Konflikt

Sektorübergreifende Kompetenz ist eine Mischung aus Einstellungen, Wissen und Fähigkeiten. Daher müssen Innovationsräume diese Dimensionen berücksichtigen. Insbesondere durch die Betonung von drei Gestaltungsaspekten von sektorübergreifenden Kooperationsprozessen.

Neutrale und inspirierende Orte

Erstens: Der Raum. Kollektive Kreativität verschiedener Menschen kann sich eher in einem Umfeld entfalten, das nicht einem Prozesspartner „gehört“, sondern von allen Beteiligten genutzt werden kann. Um dem Ziel des Denkens in alle Richtungen zu dienen, sollte dieser Ort nicht in einer Box angesiedelt sein.

Diversitätsbewusster Prozess

Zweitens: Die Methodik, wie der Prozess organisiert wird. Verschiedene Bedürfnisse müssen respektiert werden, sie muss Toleranz und Offenheit fördern und respektieren, dass Dinge in verschiedenen Sektoren anders gemenanagt werden.

Sprachliche Kreativität

Drittens: Kommunikation. Worte können unterschiedliche Bedeutungen haben, und hinter unterschiedlichen Bedeutungen verbergen sich womöglich unterschiedliche Bedürfnisse und Sichtweisen auf ein Problem. Menschen in sektorübergreifenden Teams müssen bereit sein, diese Unterschiede zu akzeptieren und zu erforschen. Ein spielerischer und kreativer Umgang mit Sprache führt in einem zweiten Schritt zu neuem Vokabular und neuen und besseren Kommunikationsstrategien.

Sektorübergreifende Kompetenz in Organisationen lernen

Organisationen und persönliche Netzwerke sind wichtige Räume, in denen Menschen eingeladen und bereit sind, miteinander in Beziehung zu treten, in denen neue Kreativität entstehen kann, in denen Beteiligung sicherstellt, dass kreative Impulse geschätzt werden, oder in denen die Organisationskultur dazu führt, dass Menschen sich befähigt und motiviert fühlen, zusammenzuarbeiten und ihre Ideen zu verfolgen.

Um bei ihrer Arbeit Sektorgrenzen überschreiten zu können und manche Probleme, die sich aufgrund übergeordneter Begrenzungen nicht lösen lassen, doch kreativ zu lösen, müssen Menschen ermutigt werden und Möglichkeit zur praktischen Weiterbildung erhalten. Denn sektorübergreifenden Kompetenz gewinnt generell an Bedeutung. Während sie bislang weithin als exklusive Eigenschaft einiger Weniger in unseren Organisationsstrukturen wahrgenommen wird, stellt sich in einer zunehmend vernetzten Welt die Frage, ob wir uns eine traditionelle „Silo“-Organisation mit vielen gesprochenen und unausgesprochenen Kreativitätsverboten noch leisten können, gerade, wenn Lösungen immer mehr horizontale Organisation erfordern. Ich denke, dass wir mehr Menschen brauchen, die wissen, wie man proaktiv auf Herausforderungen reagiert, anstatt Kosten und Verwirrung zu verursachen, die Verantwortung übernehmen und auch mal kreative Lösungen suchen, um ein Projekt wieder auf das richtige Gleis zu heben

Creativity handbook

Erste Entwicklungen in diese Richtung sind bereits zu bemerken – mehr abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen oder Labs als Räume außerhalb des Tagesgeschäfts, etc. Mehr Stabsstellen sammeln unterschiedliche Perspektiven auf wichtige Entwicklungen und leiten ihre Erkenntnisse zurück. Sektorübergreifende Begegnungen werden normaler. Jetzt ist es an der Zeit, über die tiefere Verankerung sektorübergreifende Kompetenz in unseren Organisationen nachzudenken. Wie können wir die versteckten Agent*innen des Wandels, die Komplizen eines innovationsfreundlichen Managements in einer Organisation, unterstützen (und verbinden)?


Nachweise

Sanders,B; Mulgan, G.; Ali, R; Tucker, S. (2007). Social Innovation: what it is, why it matters, how it can be accelerated. Skoll Centre for Social Entrepreneurship, University of Oxford, The Young Foundation, Oxford.

Zimmermann, N.; Leondieva, E., Gawinek-Dagargulia, M. (2018). Creativity. Building connections, drawing inspirations & exploring opportunities as individuals & groups. Competendo Handbook for Facilitators. Berlin: MitOst edition