Umwelt und Digitalisierung

F: Nathaniel Stern: Tiny Fan (CC BY-NC-SA 2.0)

Energie, Effizienz, Nachhaltigkeit, bewusster Konsum und globale Wirkung als Bildungsthema

Die Auswirkungen der Digitalisierung wurden lange wenig beachtet. Oft wird vor allem auf die möglichen Vorteile von neuen digitalen Infrastrukturen geschaut. Diese sollen Wasser, Strom, Licht, Wärme oder Verkehr möglichst effizient verteilen oder Überproduktion vermeiden helfen.

Es wäre aber einseitig, wenn man nicht auch auf die negative Seite, den Ressourcenverbrauch, schauen würde, der notwendig ist, um ressourcensparende, smarte Lösungen überhaupt denken zu können. Denn energieeffiziente Smartphones, kluge Haustechnik oder Smart Cities haben eine Ressourcenbasis.

Politische Umweltbildung kann hier genauer nachfragen. Welcher Aufwand muss betrieben werden, um dieses globale Internet am Laufen zu halten? Wie viel Energie steckt wirklich in dem Gerät, schon bevor ich es das erste Mal ans Ladegerät angeschlossen habe? Was können wir als Nutzer*innen und Käufer*innen, was als sich öffentlich einbringende Bürger*innen tun?

Politische Umweltbildung sollte sich um kritisches Denken und ein ausgewogenes Bild bemühen. Dieser Artikel beschreibt einige Aspekte, die im Zusammenhang mit dem ökologischen Fußabdruck der Digitalisierung diskutiert werden sollten. Zudem rückt er das Thema in eine dem Internet und der weltweit vernetzten digitalen Wirtschaft entsprechende globale Perspektive.


Energiebedarf

In Zeiten des Klimawandels ist der enorme Energiehunger der Digitalisierung der globale Aspekt, der vielleicht am offensichtlichsten die Themen Umwelt und Digitalisierung verbindet. Effizienzgewinne durch technologischen Fortschritt allein reichen hier nicht aus, um den wachsenden Strombedarf zu kompensieren. Zwar bewegen sich laut einer Studie von Greenpeace die großen globalen Plattformen in Richtung erneuerbare Energien, doch der Rebound-Effekt zeigt, dass dies nicht auszureichen scheint. Laut Greenpeace werden bis 2030 13 % des globalen Stroms in Rechenzentren verbraucht werden (Greenpeace, 2017).

Im Einklang mit den Bemühungen um eine kohlenstofffreie Energiezukunft müssten/müssen digitale Praktiken hinterfragt werden. Zum Beispiel ist Videostreaming eindeutig eine Aktivität mit großem Reduktionspotenzial, der schätzungsweise 80% des Internetdurchlaufs verursacht. Werden wir wieder einen Weg zurück zu „altmodischen“ Downloads erleben, um Strom zu sparen? Wird es Anreize geben, die Menge an Internet Traffic zu reduzieren? Die aktuellen Entwicklungen zeigen die entgegengesetzte Tendenz, denn das Modell des Streamings wird durch Investitionen in die notwendige Serverleistung eher verbreitet als reduziert. Clouds ersetzen immer mehr lokale Server. Das Beispiel zeigt auch, dass Umweltbildung und politische Bildung über den Energieverbrauch von Endverbraucher*innen auch ressourcenschonendere Praxis der digitalen Geschäftsmodelle mit in den Blick nehmen müssen.

Energiebedarf der Server und Rechenzentren in Deutschland
Quelle: Borderstep 2020

Produktion und Reparatur

Darüber hinaus führt die Art und Weise, wie Geräte produziert werden (u. a. immer günstigere Smartphones, Tablets, Fernseher oder digitale Notebooks), zu verkürzten Lebenszyklen und einer geringeren Bereitschaft der Nutzer*innen, ihre Geräte reparieren oder wiederverwenden zu lassen. Die Preise berücksichtigen nicht die sozialen und ökologischen Kosten des steigenden IT-Konsums. Obsoleszenz durch Design, komplizierte Reparierbarkeit oder mangelnder Software-Support drängen Verbraucher*innen dazu, immer öfter neue Produkte zu kaufen.

Sinkende Realpreise für Computer
1977 Apple II – $5,389 (Originalpreis $1,298)
1985 Commodore Amiga 1000 – $3,028 (Originalpreis $1,295)
1999 Compaq ProSignia 330 – $4,076 (Originalpreis $2,699)
2021 Lenovo Thinkpad T14 – $ 1.800

USA Today (2018/06/22)

Miniaturisierung (Verkleinerung von Bauteilen unter Beibehaltung des vollen Funktionsumfangs) bringt ein weiteres Problem mit sich: Modulare Lösungen, wie bei alten Desktop-Computern, die es Besitzer*innen erlaubten, einzelne Teile zu ersetzen oder zu erneuern, sind fast ausgestorben. Die Website Ifixit ermächtigt die Menschen, ihre Geräte mit veröffentlichten Anleitungen zu reparieren, und setzt sich für ein Recht auf Reparatur ein, entsprechend der provokanten Frage:
„Würden Sie ein Auto kaufen, wenn es illegal wäre, die Reifen zu ersetzen?“ (Ifixit)

Neben Reparatur ist auch das Refurbishing (Aufarbeitung gebrauchter Geräte) noch eine Nische. Einige Händler*innen bieten aufgearbeitete Hardware an und reagieren auf eine steigende Nachfrage nach Mobiltelefonen der Top-Marken und -modelle. Auf Refurbishing spezialisierte Plattformen teilen sich diesen Markt mit normalen Onlinehändler*innen, die ebenfalls mehr Gebrauchtware anbieten, meist die hochwertigeren Smartphones oder Laptops. Apple zeigt
exemplarisch, wie ambivalent Herstellerfirmen auf diesen Trend schauen. Einerseits bietet der Konzern selbst gebrauchte Geräte in seinem Onlineshop an, andererseits behindert er unabhängige Reparaturwerkstätten, indem er ihnen Originalersatzteile vorenthält.

Beschaffungskriterien

Umweltsiegel und Standards spielen vor allem im öffentlichen Beschaffungswesen und in Unternehmen eine Rolle. Neuware-Siegel wie das EPEAT-Siegel berücksichtigen ökologische und Qualitätskriterien der Hardware, sind aber der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. „Consumer“-Geräte findet man zudem nicht in der Datenbank des weltweit eingeführten EPEAT Siegels. Ein Kauf von Geräten der Kategorien Silber und Gold kann sich aber häufig auszahlen.


Längere Nutzung

Nach einer Untersuchung der Vereinten Nationen ist pro Kopf weltweit 7,33 kg Elektroschrott angefallen (Forti et al., 2020). Ein besonderes Merkmal von Smartphones und Tablets ist, dass diese Geräte von ihren Herstellern oft auf indirekte Weise unbrauchbar gemacht werden, indem Sicherheits- und Softwareupdates nicht mehr angeboten werden. Die Verlängerung ihrer Nutzungsdauer ermöglicht dann Rooting – das Umgehen der eingebauten Sicherheitsmechanismen, das wiederum ermöglicht, freie Betriebssysteme zu installieren, die über den Hersteller-Support hinaus von einer Community mit Sicherheitsupdates versorgt werden. Die Free Software Foundation gibt zum Beispiel Tipps, wie man ein freies Android-Betriebssystem auf Smartphones und Tablets installieren kann (zum Beispiel LineageOS). Besitzer*innen älterer Windows-Computer und Laptops können sich oft behelfen, indem sie ein anderes Betriebssystem, meist auf der Basis des kostenlosen Linux installieren. Dank engagierter Programmierer*innen gibt es speziell für ältere Hardware geeignete, schlanke
Betriebssystem-Varianten (sogenannte Distributionen).


Kreislaufwirtschaft und Rohstoffe

Das gesellschaftspolitische Konzept, das zu mehr Nachhaltigkeit und einem bewussten Umgang mit Ressourcen führt, ist die Kreislaufwirtschaft. Die Europäische Union (EU) treibt hier aktuell die Entwicklung im Rahmen ihres Green-New-Deal-Plans voran. Insbesondere will die EU-Kommission mit der Ökodesign-Richtlinie regulatorische Maßnahmen „für Elektronik und IKT einschließlich Mobiltelefonen, Tablets und Laptops erarbeiten, damit die Geräte auf Energieeffizienz und Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Aufrüstbarkeit, Wartung, Wiederverwendung und Recycling ausgelegt sind.“ Sie schlägt außerdem vor, „auf die Einführung eines neuen ‚Rechts auf Reparatur‘ hinzuarbeiten“, und initiierte eine Initiative für zirkuläre Elektronik (EUC COM(2020) 98 final).

Der verschwenderische Umgang mit Hardware ist auch deshalb möglich, weil die meisten Geräte 2020 in China und Vietnam produziert werden (Wired , 2019), also in Ländern mit niedrigen Löhnen, weil die benötigten Rohstoffe (Seltene Erden) oft aus Konfliktregionen stammen, oder weil die sozialen und ökologischen Folgen ihrer Gewinnung und des in arme Länder exportierten Elektroschrotts (Parajuly et al., 2019) nicht eingepreist sind. Ein Kreislaufwirtschaftsansatz mildert diese negativen Auswirkungen der Rohstoffausbeutung. Der Bedarf an Rohstoffen steigt ständig und ist weltweit ungleich verteilt. In ihrem Bericht „Critical Raw Materials Resilience“ untersucht die EU ihre Rohstoffabhängigkeit mit Blick auf die globale Nachfrage und kommt zu dem Schluss, dass „trotz Verbesserungen bei der Materialintensität und Ressourceneffizienz“ im Jahr 2060 immer noch 110% mehr Rohstoffe abgebaut werden müssen als 2011, insgesamt 167 Milliarden Tonnen (EU-COM 2020/474 final, S. 5).

Heute haben Initiativen für fairen Handel oder konfliktfreie IT, die darauf abzielen, die Position der am Herstellungsprozess beteiligten Arbeiter*innen zu stärken wie auch die der Produktionsgesellschaften im Welthandel, noch keine nennenswerte Wirkung gezeigt, obwohl einige Initiativen (wie beispielsweise das Projekt Make ICT Fair, das sich für eine fairere öffentliche Beschaffungspolitik einsetzt, Fairphone oder Shiftphone) das Bewusstsein für die Produktionsbedingungen von Hardware schärfen. Aber im Allgemeinen müsste ein fairer europäischer Ansatz für „Critical Raw Materials Resilience“ beweisen, dass ethische Worte und faire globale Zusammenarbeit eine Priorität der europäischen Politik und Wirtschaftspraxis sind.

Wo kommen Europas kritische Rohstoffe her? Quelle: EU-COM 2020/474 final

Digitalisierungsaspekte in der Umweltbildung, mehr Umweltaspekte im Lernen über Digitalisierung

Das Internet und die digitale Transformation als Ganzes wirken sich auf unterschiedliche Weise auf die ganze Welt aus. Die digitale Transformation kann als ein Phänomen der Globalisierung erforscht werden, das auch in das Erlernen globaler Kompetenzen einbezogen wird, zum Beispiel im Einklang mit dem globalen Kompetenzrahmen der OECD: „Globale Kompetenz ist die Fähigkeit, lokale, globale und interkulturelle Fragen zu untersuchen, die Perspektiven und Weltanschauungen anderer zu verstehen und zu würdigen, sich auf offene, angemessene und effektive Interaktionen mit Menschen aus anderen Kulturen einzulassen und für das kollektive Wohlergehen und eine nachhaltige Entwicklung zu handeln“ (OECD PISA, 2018).

Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) greift in ihren verschiedenen BNE-Zielen entsprechende Aspekte auf (vgl. UNESCO 2017). Umweltbildung umfasst auch Themen wie Energieverbrauch, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Produktion, Reparierbarkeit oder Recycling und muss um den Kontext der digitalen Transformation erweitert werden.

Politische Bildung kann den Blick über die Endbenutzer*innenpraxis erweitern, indem auch die Bedingungen für ihre Vernetzung und ihr Funktionieren mit reflektiert werden. Es sind letztlich nicht virtuelle Plattformen, sondern konkrete Kraftwerke, Fabriken, Rechenzentren und Transportmittel, die die globale Digitalisierung möglich machen und dabei einen größeren oder geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Diese konkreten Ermöglicher oder Barrieren für eine nachhaltige Digitalisierung verdienen mehr Aufmerksamkeit der politischen Bildungspraxis.

Globales Lernens kann zum Verständnis der Auswirkungen der digitalen Transformation beitragen. Die Länder Europas sind ein wichtiger und einflussreicher Teil des globalen Internets. Wenn Europa, wie es sich die Europäische Kommission zum Ziel gesetzt hat, einen „europäischen Weg“ zur Digitalisierung schaffen will, müssen sich die Europäer*innen auch fragen, welche globale Vision in Bezug auf die ökologische Verantwortung sie teilen und welche globale Verantwortung sich aus diesem Anspruch ergibt.

Auch europabezogene Bildungsarbeit ist aufgerufen, die Frage nach den Auswirkungen des europäischen Wegs der Digitalisierung hinsichtlich der Umwelt- und sozialen Aspekte innerhalb und außerhalb Europas zu stellen.


Quellenverzeichnis:

European Commission (EU-COM 2020/474 final). Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions – Critical Raw Materials Resilience: Charting a Path towards greater Security and Sustainability.

European Commission (EU-COM (2020) 98 final). Circular Economy Action Plan; For a cleaner and more competitive Europe; Brussels, 11.3.2020.

Forti V., Baldé C.P., Kuehr R., Bel G. (2020). The Global E-waste Monitor 2020: Quantities, flows and the circular economy potential.

United Nations University (UNU)/United Nations Institute for Training and Research (UNITAR) – co-hosted SCYCLE Programme, International Telecommunication Union (ITU) & International Solid Waste Association (ISWA), Bonn/Geneva/Rotterdam. ISBN Digital: 978-92-808-9114-0, ISBN Print: 978-92-808-9115-7. Zugriff am 1.8.21

Greenpeace (2017). Clicking Clean: Who is Winning the Race to Build a Green Internet? Cook, G. et al., Greenpeace Inc.: Washington.

Hintemann, R. (2020). Rechenzentren 2020. Cloud Computing profitiert von der Krise. Energiebedarf der Rechenzentren steigt trotz Corona weiter an. Borderstep Institut, Berlin, Zugriff am 1.8.21.

OECD PISA (2018). Preparing our Youth for an Inclusive and Sustainable World. The OECD PISA global competence framework. Directorate for Education and Skills, Paris.

Parajuly, K.; Kuehr, R.; Awasthi, A. K.; Fitzpatrick, C.; Lepawsky, J.; Smith E.; Widmer, R.; Zeng, X. (2019). Future E-waste Scenarios (2019). StEP (Bonn), UNU ViE-SCYCLE (Bonn) & UNEP IETC (Osaka). Zugriff am 1.8.21

The Shift Project (2019). Lean ICT: Towards digital sobriety. Report of the Working Group directed by Hugues Ferreboeuf for the Think Tank The Shift Project. March 2019. Zugriff am 1.8.21.

UNESCO (2017). Education for Sustainable Development Goals: learning objectives. Paris.

USA Today (2018/10/03). Comen, E.: Check out how much a computer cost the year you were born. Zugriff am 1.8.21.

Wired (2019/09/02). Chris Stokel-Walker: China’s quickly losing its position as the world’s smartphone factory Zugriff am 1.8.21


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