„Wir brauchen rechte-basierte Bildung über die Digitalisierung.“

Ein interview mit der European Association for the Education of Adults (EAEA) über das Projekt DIGIT-AL, eine holistische Pädagogik ‚des Digitalen‘ und das besondere Potenzial des demokratie- und menschenrechtsbezogenen Lernens über die digitale Transformation, wie es die politische Bildung ermöglichen kann und sollte:


EAEA: Was war das Hauptziel Ihrer Initiative?

„Wir denken, dass viele Europäer*innen das Gefühl haben, dass die Digitalisierung eine ambivalente Sache ist, und dass sie sich nicht kompetent fühlen, darüber zu sprechen. Digitalisierung wird auch auf den Aspekt von Tools reduziert, wie man MS Teams©, mobile Kommunikation oder Plattformen nutzt“, sagt Nils-Eyk Zimmermann vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB).

„Die Idee von DIGIT-AL (Digital Transformation in Adult Learning for Active Citizenship) ist es, zu einem breiteren Bild davon zu gelangen, was digitale Kompetenz als Summe von Fähigkeiten, Wissen, Einstellungen und Werten bedeutet, sowie die digitale Transformation als gesellschaftspolitisches Thema anzugehen. Das Projekt erforscht das Potenzial der politischen und demokratiebezogenen Bildung für das Lernen über die digitale Transformation.

Das bedeutet, dass wir uns auch darauf konzentrieren sollten zu lernen, was Datafizierung und Plattformisierung für uns als Bürger*innen, Angestellte und Privatpersonen in all unseren verschiedenen sozialen Rollen bedeuten. Viele Aktivitäten und Ansätze, die wir als eine „Pädagogik des Digitalen“ bezeichnen, werden im Jugendbereich entwickelt, aber auch erwachsene Lernende brauchen dieses Wissen.

Zum Beispiel haben wir jetzt das Gesetz über den digitalen Markt und das Gesetz über digitale Dienstleistungen in Europa (Digital Markets Act/Digital Services Act). Wir diskutieren über die Umbenennung von Facebook in Meta und stellen die Praktiken großer Unternehmen in Frage. Diese Dinge betreffen die Menschen in Europa. Politische Bildung kann eine einzigartige Perspektive bieten, die beim Lernen über das Digitale noch fehlt. +

Die Idee des DIGIT-AL-Projekts war es, diese Anliegen besonders an die Erwachsenenbildner*innen zu adressieren.“

EAEA: Wie hat das Projekt die Digitalisierung und die Demokratie gefördert?

„Wir wollen eine Debatte über (menschen)rechtsbezogene Bildung in der Erwachsenenbildungscommunity anregen.

In den meisten Kompetenznetzwerken gibt es kein Wissen über Plattformen oder unser Handeln als Datenproduzent*innen. Sie konzentrieren sich nur auf unser Nutzer*innenverhalten. Was wir in digitale Kompetenzrahmen aufnehmen wollen, hat mit Demokratie zu tun.

Wenn man seine Rechte kennt, ist man in der Lage, eine konstruktive Haltung gegenüber der Digitalisierung einzunehmen.

Die Qualität der digitalen Pädagogik in Europa sollte die demokratische, dezentrale und offene Entwicklung des Internets in Europa widerspiegeln. Wenn wir uns bei digitaler Bildung nur auf die Optimierung des Nutzer*innenverhaltens konzentrieren, gibt es keinen Unterschied zwischen den russischen, nordamerikanischen, europäischen oder sogar chinesischen Rahmenwerken für digitale Kompetenz.

Deshalb sagen wir, dass der Demokratie- und Menschenrechtsaspekt in der politischen Bildung hier den Unterschied macht. Wir fragen uns, ob nicht die auf Rechten basierende Bildung zur Digitalisierung mehr Gewicht bekommen sollte, denn es geht nicht nur um Urheberrechte und Privatsphäre. Es geht auch um Autonomie. Es geht um die Rechte, die wir als Europäer*innen haben. Und wenn man seine Rechte kennt, ist man in der Lage, eine konstruktive Haltung gegenüber der Digitalisierung einzunehmen.“

EAEA: Welche bewährten Praktiken haben Sie aus dieser Initiative gelernt, die Sie weitergeben möchten?

„Eine bewährte Praxis im Projekt war die Inspiration durch Digital- und Datenaktivismus, Forschung, Kunst und andere Expert*innen außerhalb des Bildungssektors – und ihre Bereitschaft, sich mit uns auszutauschen und zu diskutieren. Es gibt ein riesiges Potenzial für die Zusammenarbeit und den sektorübergreifenden Austausch. Der Bildungssektor sollte den ersten Schritt machen, denn die anderen sehen Bildung nicht als ihre Priorität an. Wir können von ihnen lernen, und wir können ihnen helfen, ihre Aktivitäten pädagogisch zu gestalten.

Das Do-it-yourself erlebt in anderen Bildungsbereichen eine Renaissance, und wir sollten es auf die Digitalisierung übertragen.

Da wir uns mit politischer Bildung beschäftigen, lag es nahe, dass wir uns an die digitalen Aktivist*innen wenden. Wir können von ihrer Einstellung zur Digitalisierung lernen. „Hacker-Pädagogik“ bedeutet, Systeme nicht als geschlossen zu betrachten, sondern als etwas, das man für seine Zwecke nutzen kann. Das Do-it-yourself erlebt in anderen Bildungsbereichen eine Renaissance, und wir sollten es auf die Digitalisierung übertragen.

Bildungseinrichtungen sollten sich nicht mit den Erfahrungen begnügen, die sie bei COVID-19 mit Plattformen wie Teams oder Zoom gemacht haben. Wir sollten auch die Alternativen fördern: die datenschutzfreundlichen, dezentralen und kollaborativen Non-Profit-Tools.

Außerdem müssen wir mehr mit der Digitalisierungspolitik in Berührung kommen. Wenn wir also über den Digital Market Act und den Digital Service Act in Europa diskutieren, sollte der Bildungssektor in diese Debatten einbezogen werden. Sie sind weitreichend und wenn die Entscheidungen getroffen werden, sind sie fix.

DIGIT-AL ist an der Neugestaltung bzw. der Weiterentwicklung des europäischen digitalen Kompetenzrahmens beteiligt. Wir haben auch zum Aktionsplan für digitale Bildung Stellung genommen. Ich denke, das Projekt hat eine Lücke im Bildungsbereich aufgezeigt.“