Der autoritäre Wandel in Mitteleuropa 1: Der Ausnahmezustand.

Es kommt alles wieder. Erst Absinth und Altbau, dann Staatsrecht und politische Theorie aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die 20er, das ist das Jahrzehnt vor den 30ern, an deren Ende der Zweite Weltkrieg stand. Ein Jahrzehnt, in dem die Einen sich um die Festigung der Demokratie bemühten, die anderen fröhlich nach Wegen suchten, diese zu überwinden. Der polnisch-russische Krieg endete mit dem Frieden von Riga. Mussolini inszenierte den Marsch auf Rom. 1926 putschte Józef Piłsudski und seitdem herrschte die Sanacja in Polen – die „Genesung“ des Staats als Programm. Damit war freilich nicht die liberale Demokratie gemeint. In dieser Zeit verfasste Carl Schmitt in Berlin seine wirkungsmächtige „Politische Theologie“. Wären der Marsch auf Rom und die Sanacja an der Weichsel Filme aus dem 21. Jahrhundert, wäre Schmitt vermutlich für den Soundtrack verpflichtet worden. Das Schmitt’sche Denken ist auf die eine Art modern und regt bis heute an, über das Wesen des Politischen und der Demokratie nachzudenken. Es ist 2018 eine interessante Lektüre für Demokratinnen und Demokraten. Auf der anderen Seite ist Schmitt immer ein Stichwortgeber der Rechten gewesen, bevor er sich willfährig dem Nationalsozialismus hingegeben hat und nach Kräften mitgetan hat am Dritten Reich.

Doch interessant ist Schmitt für viele rechte und konservative Sinnsuchende in Mitteleuropa nicht wegen seiner braunen Vergangenheit. Was er zu bieten hat, liefert den intellektuellen Blueprint für die Überwindung der liberalen Demokratie von heute.

In die politische Ideengeschichte geht er erstens mit seinem am Freund-Feind-Denken geschulten Begriff des Politischen ein. Politik ist demnach, wenn man zwischen Freund und Feind unterscheidet, wenn man fähig ist, diesen Feind zu bekämpfen und wenn man entscheidungsfähig und -bereit ist (Der Begriff des Politischen, München 1932, S. 14). Damit hat er der politischen Theorie ein Stück Realität gebracht und dem Gegengewicht zur Vorstellung des Politischen als im Wesen Deliberatives, Diskursives oder Freies Ausdruck gegeben. So sah er sich selbst in der Tradition Niccolo Machiavellis, demjenigen, der einmal sagt, wie es wirklich läuft im Leben. Neben den üblichen Verdächtigen finden sich auch Schmitt-Rezipientinnen  wie Chantal Mouffe, deren Verdienst es ist, Schmitts Ansatz zu pazifizieren und mit seiner Inspiration ihren modernen Begriff des Politischen zu entwickeln.

Zweitens ist Schmitt der Theoretiker des Ausnahmezustands. Weil er eben Politik für „entscheidend“ hält und Politiker als diejenigen betrachtet, die das Recht und die Pflicht haben, sich die anderen gesellschaftlichen Systeme untertan zu machen, gerät er quer zur Pluralismustheorie, die das Gleichgewicht zwischen den Kräften herstellen möchte und die den Wettstreit der Meinungs- und Interessenvielfalt organisieren möchte. Nach Schmitt gibt sie bloß vor, dies zu tun. In Wahrheit laufe liberale Entscheidungsgewalt meistens den Interessen hinterher, die am stärksten kapitalisierbar seien (Politische Theologie; S. 82). Dies höhle das Grundprinzip der liberalen Demokratie selber aus und was übrigbleibt sind die Rituale und die Institutionen.

Nach dem liberaldemokratischen Verständnis ist derjenige mächtig, der die Mehrheit im Parlament organisiert.  Nicht prägnanter hätte Carl Schmitt seinen Kontrapunkt setzen können. Denn sein Buch über die Politische Theologie beginnt mit dem Satz:

Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“

Der Begriff der politischen „Souveränität“ wird dem rechtlichen „Ausnahmezustand“ zugeordnet. Man kann auch sagen, im Ausnahmezustand zeigt sich die politische Herrschaft über das Recht. Schmitt-Anhänger sehen in diesem Zustand den Rahmen, in dem das Gemeinwohl das Recht vom lediglich Rechtsförmigen befreit – von den Kompromissen, den Interessen, den Formalismen. Im Ausnahmezustand zeigt sich also das Rechtsgut in reiner Form.

Im Ausnahmezustand durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.“
(Politische Theologie, S. 22)

Wer über den Ausnahmezustand verfügt, hat die Freiheit und Pflicht, seinem Willen zu allgemeiner Geltung zu verhelfen. Die Wiedergewinnung politischer Kraft, das ist somit das Ziel der Bemühungen. Mit Schmitt teilen viele Konservative den Skeptizismus gegen die Idee des pluralistischen, liberalen Staats. Zum Einen, weil Partikularinteressen die politischen Prozesse dominierten, sich im Zweifel Einfluss mit Geld kaufen oder durchsetzen lasse. Zum Anderen, weil der deliberative Charakter des liberaldemokratischen Parlamentarismus den Blick der Bürgerinnen und Bürger auf das Wesentliche verschwimmen lasse. Statt zu wissen, wer Freund, wer Feind ist, wer mir als Wählerin oder Wähler nützt oder schadet, verlieren sich die Einzelnen aber auch die Parlamentarier und die Mächtigen in „Technisch-Organisatorischem“ oder in „kultur- und geschichtsphilosophischen Allgemeinheiten“. Diskurs statt Entscheidung. Vielfalt statt Klarheit. „Weiter so“ statt neu denken.

Kultury@PaństwoMiasto, Warszawa | Credit: Nils-Eyk Zimmermann
Pałac Kultury@PaństwoMiasto, Warszawa | Credit: Nils-Eyk Zimmermann

Die Überwindung der liberalen Demokratie

Es ist nicht schwer, die Parallelen zu Mitteleuropa knapp hundert Jahre später zu sehen, etwa am Beispiel Polen. Im mäandernden Kaczyński-Stil hat der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit seit Jahren in PiS-nahen Medien ein anti-liberales Programm hervorblitzen lassen. Er zeichnete ein Bild eines vom liberalen Geist zerstörten Polens. „Interessen“, korrupte Richter, „Diebe“ und „pathologische“ Zustände im Rechts- und Vollzugswesen, hysterisches Parteiengezänk, ein außer Fugen geratener Pluralismus, der den einfachen Menschen entmündigt – das ist die PiS-Melodie. Polen läge „in Ruinen“, so die Wahlkampfbehauptung der PiS 2015. Oder Präsident Andrzej Duda: „Wir verlieren langsam unser Land, wenn weitere Institutionen eingehen, ob es Verkehrsverbindungen sind, oder Kultureinrichtungen, Schulen, Museen oder Kulturhäuser.“ (Andrzej Duda 2015). Jarosław Kaczyński pointiert dies: „Polen wurde von außen und innen ausgebeutet“, „Pathologien zerstören die Demokratie, bestimmte Gruppen haben zu viel Einfluss“, „gigantische volkswirtschaftliche Verluste sind durch die Entscheidungen des Obersten Gerichts eingetreten“. (in Fernsehauftritten für die rechten Sender TV Republika und TV Trwam 2015 und 2017).

Viele Beobachterinnen und Beobachter fragten sich, warum man so etwas allen Ernstes und dann auch noch erfolgreich behaupten kann. Schließlich ginge es dem Land ziemlich gut und es sei ein erfolgreiches Beispiel für die Transformation, zumal man von einer denkbar schwachen Position 1989 startete. Auch aktuelle Wirtschaftsdaten belegen die Mittelfeldposition Polens in Europa bei vielen Indikatoren. Die liberalen Kräfte betonten deshalb die Output-Komponente der Demokratie, ihre Leistungsbilanz. Außerdem präsentierten sie sich als die zivilisiertere Alternative zum bisweilen derb und aggressiv schimpfenden PiS-Milieu.

Doch was, wenn viele Menschen Politiker nicht an ihrer Fähigkeit zum Diskurs messen, sondern an ihrer Übereinstimmung mit den „Beherrschten“, die sich auch in einer derben Ausdrucksweise zeigt. Oder wenn Wählerinnen und Wähler Politik ebenfalls als die Arena der elementaren Gegnerschaft begreifen, in der gut gegen böse, wahr gegen falsch kämpfen? Dann geht diese Argumentation schnell ins Leere.

Es gibt in der mitteleuropäischen Gesellschaft ein verbreitetes Nichteinverstandensein mit Deliberation, sozialer Vielfalt und politischer Komplexität. Schon 2003 bedurfte es des damaligen Papsts Johannes Paul II., um den EU-Befürwortern im Land zur Mehrheit zu verhelfen, weil er auf eine starke bewahrende und konservative Strömung einwirken konnte.  Da zudem in Polen viele strukturelle Probleme wie der sozialen Infrastruktur oder im Rechtswesen in den letzten 25 Jahren gerade so angegangen worden sind, dass man nicht vom Nichtstun sprechen kann, stehen die autoritären Leidenschaften breiter Bevölkerungsgruppen bereit, in ihrer Verdrossenheit eingesammelt zu werden. Hingegen zeigen die liberalen Kräfte oft ein fast ostentatives Desinteresse an den Gemeingütern und an sozialer Infrastruktur, auch der Dialog mit Menschen aus der ganzen Weite des Landes und Breite der Bevölkerung liegt nicht jedem.

Im Parlament sieht der nach Wandel dürstende Bürger seit Jahrzehnten immer die gleichen Personen, oft in unterschiedlichen Parteien. Gestern Verteidigungsminister unter PiS, heute Außenminister für die Liberalen – für wen arbeitet Radosław Sikorski morgen? Für Brüssel, für die CIA? So entstehen Verschwörungstheorien. Das Wechseln von den konservativen Positionen ins andere Lager ist aus antiliberaler Sicht wie „überlaufen“. Es kann nur etwas mit partikularen Interessen, mit Verrat und mit Eigennutz zu tun haben.

Auch auf der anderen Seite gibt es Gleiches zu beobachten – etwa Vizepremier Jarosław Gowin, der lange den konservativen Flügel der Platforma Obywatelska repräsentierte und noch bis 2011 beim Erzfeind Donald Tusk im Kabinett saß. Oder der PiS-Premier Mateusz Morawiecki (seit 2017) selbst, Vertreter des großen Gelds, der Tusk und sein liberales Wirtschaftsmodell als Wirtschaftsberater mit unterstützte. Die Mechanismen der politischen Theologie sorgen jedoch dafür, dass diese Letzteren als Konvertiten betrachtet werden, nicht als Verräter. Die verlorenen Söhne sind nun zurückgekehrt in den Schoß der Gemeinschaft.

Reparatur im Namen der Gerechtigkeit

PiS hingegen bieten sich als die entschlossenen Handwerker an, die das Land  reparieren. Wir sind anders, wir werden verändern, das ist die Programmatik hinter dem Wahlerfolg 2015. Wir handeln im Sinne des Gemeinwohls und zwar wertegebunden. Wir werden das Land modernisieren, aber anders als die Liberalen mit Leszek Balcerowicz (dem Finanzminister der 90er Jahre) – nämlich politisch gestaltend und nicht als Büttel des globalen Kapitalmarkts.  Neben einigen betont um Ausgleich bemühten Phrasen („wir tun niemanden etwas zuleide“, wir wollen versöhnen) machte Kaczyński auch frühzeitig klar, wohin die Reise gehen soll: „wir wollen lange regieren“ und  „wir organisieren den großen Wandel“ bis hin zu „wir verabschieden schnell ein Demokratiepaket“ um Polen „wieder aufzubauen“ und zu „reparieren“. Auch der Name seiner Partei weist darauf hin. Es geht nicht um „Recht und Rechtsstaatlichkeit“ sondern um „Recht und Gerechtigkeit„, ganz im Sinne des Bärbel-Bohley-Worts von 1990: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Demzufolge ist es nur logisch, beim Staatsumbau mit der Neutralisierung von Verfassungsgericht und Obersten Gerichtshof anzufangen. Wenn die Zeit reif ist, möchte man den großen Wandel gerne forcieren – vielleicht vor oder nach den nächsten Wahlen? Die Axt an die Wahlkreise wurde bereits gelegt.

Gleichzeitig begann man, die staatlichen Medien zu okkupieren. Miltärpolitisch wurde eine aus bewaffneten Freiwilligen bestehende neue Waffengattung ausgehoben – die Territorialverteidigung. Und die staatliche und europäische Finanzierung von NGOs wurde unter PiS-Kontrolle gebracht. Die Gelegenheit, mit nur 39% der Wählerstimmen 2015 mit 235 Stimmen im Parlament absolut regieren zu können, wurde in beachtlicher Weise genutzt.

Elementar war dabei der Aufbau des großen Gegners – des „Systems“, der „liberalen Lügen-Eliten“ oder einfach „Diebe“ oder „Verräter“. Versöhnung oder Kompromiss ist nicht vorgesehen, nur die Niederlage des Anderen. Je größer der Gegner gemacht wird, desto kleiner wirken die eigenen Eingriffe ins System und man kann sie einfacher als „Reparaturen“ verkaufen und sich selbst als den im Grunde fast in Notwehr handelnden kleinen Mann. In diesem Sinne imaginiert die autoritäre Rechte den Ausnahmezustand, indem sie sich klein macht, den Gegner groß zeichnet und die Angst vor den Folgen dramatisch ausgestaltet.

Der Ausnahmezustand ist nicht nur der rechtliche Rahmen, in dem sich politisches Handeln machtvoll gestalten lässt. Es ist zugleich der einzige Rahmen, in dem dies möglich ist. Denn wer von vornherein annimmt, dass der liberale Rechtsstaat zu viele illegitime Interessen vertritt oder einzelne Interessen ungebührlich überbetont, der hat ein Problem mit jeglicher Opposition.

Zwar betont es Jarosław Kaczyński regelmäßig: Er wolle auch in Zukunft Parteien, denn die Demokratie bräuchte sie. Aber er wünsche „echte Konkurrenz, nicht die um Privilegien“, „echte Demokratie“, sowie eine Opposition die „nicht nur das Negative“ sieht.  Allein – woran wird er erkennen, dass die Opposition echt, demokratisch und konstruktiv ist? Und: Wird er es sich trauen können, die Konstruktivität, Legitimation und Qualität oppositioneller Arbeit anzuerkennen, wenn sie für ihn sichtbar wäre?

Die einzige Kraft, die hier mäßigend einzugreifen vermag, ist die Zivilgesellschaft. Schließlich repräsentiert sie ebenfalls den Volkswillen, besser zumal als die Regierung, die ja auch Teil von denen da oben ist. Durch ihre verschiedenen Institutionen und in ihnen formulierten Interessen tut die Zivilgesellschaft dies ausgewogener als die Herrschenden, aber auch weniger kohärent – „die Zivilgesellschaft“ kann nicht mit einer Stimme sprechen.

Weil große Teile der polnischen Zivilgesellschaft den Anti-System-Geist pflegen und weiterentwickeln, stößt PiS mit seinen antidemokratischen Gedankenspielen auf weite Zustimmung. Die Gesellschaft ist gespalten, aber der demokratisch und pluralistisch orientierte Teil ist uneinig, wenig organisiert und politisch desinteressiert.

Wenn die Ausnahme zum Zustand wird

Allerdings kommt eine am Ausnahmezustand orientierte politische Konzeption leicht an ihre Grenzen. Da sie von der stillschweigenden Übereinkunft zwischen Führern und Beherrschten lebt, stellt sich die Frage, wer nach der Niederlage der liberalen Opposition als Gegner im nächsten Level zur Verfügung stünde. In Ungarn ist es Soros und das Finanzjudentum. In Polen probiert man es wohl mit Europa und den Flüchtlingen aus muslimischen Kriegsgebieten. Aber wer können  die inneren Feinde der Zukunft sein? Wenn Nichteinverstandensein direkt Kampf ist, dann fällt es auch schwer, transparente Wege der Konfliktmediation zu finden. So wird der Vorteil der Konzeption – unabhängige Kräfte werden neutralisiert – zu einem Nachteil – Aushandlung und Verhandlung wird tendenziell auch in weniger vermachteten Politikfeldern erschwert.

Autoritäre Regimes müssen mangels vermittelnder Organisationen die Leidenschaften der Bevölkerung im Zaum zu halten und sich diese als Unterstützung nutzbar zu machen. Heute sind es schon die Rechtsextremen, militante Nationalisten oder Fußballfans, die  von PiS eine Dividende einfordern, die vielleicht etwas Blut sehen würden, oder Demokraten hinter schwedische Gardinen bringen würden. In einem Klima der gesellschaftlichen Radikalisierung kommen immer neue Kräfte hinzu, die sich schnell nur schwer kontrollieren lassen.

Auch die, deren Leidenschaften erkalten, wollen, dass das Feuer hin und wieder entfacht wird. Wer etwa um den Smolensk-Kult herum für den autoritären Wandel begeistert wurde, aber gut zehn Jahre nach der Katastrophe immer noch keine der versprochenen Beweise für ein Attentat präsentiert bekommt, könnte sich irgendwann missbraucht fühlen oder enttäuscht sein.

Deshalb haben die autoritären Staaten in Europa häufig den Schulterschluss mit  Organisationen gesucht, die Transzendenz ermöglichen, das Sinnbedürfnis des einzelnen ansprechen ohne auf zu viel politische Teilhabe abzuheben. Die Massen müssen Wege finden, ihre Leidenschaften zu kanalisieren. Auch das eine Figur des politischen Denkens um 1920, abgeleitet aus der Psychologie der Massen. In Polen ist dies der enge Schulterschluss der Regierenden mit den demokratieskeptischen Kräften in der katholischen Kirche. Originell ist in Polen der Kult um den beim Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommenen Präsidenten Lech Kaczynski. Die Wahrheit über Smolensk zu finden gegen die bösartigen (Mit-)Mörder aus dem liberalen Lager vorgehen wollen, das war schon nach der Katastrophe 2010 der PiS-Weg in den spirituellen Ausnahmezustand und die innere Radikalisierung vieler Konservativer.

Es scheint also so zu sein, als ob der Ausnahmezustand nur nachhaltig wirken kann, wenn etwas das starre politische Freund-Feind-Denken abmildert. Wenn statt des total politisierten Staats, der eintreten muss, wenn man Schmitt konsequent folgt, Nischen der (politischen) Religiosität entstehen, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich dem Anspruch der Herrschenden zu entziehen oder in denen ihre Leidenschaft ohne politische Konsequenz gelebt und mobilisiert werden kann.

Eine andere Alternative ist ein Konflikt mit der äußeren Welt, der es ermöglicht, nach innen zu geringen Kosten zu einigen. Für Mitteleuropa gleicht das einem Ritt auf einer Mittelstreckenrakete.

Auch die demokratisch orientierten Kräfte aus der Zivilgesellschaft können etwas tun. Demokratische Resilienz könnte dort entstehen, wo Demokratieskeptiker anfangen, an den überspannten und dramatisierenden Narrativen von oben zu zweifeln. Wir haben gelernt, dass es mit einer Aufzählung von Kennzahlen und Erfolgen nicht getan ist. Im Gegenteil, diese scheinen als unglaubwürdig oder interessengeleitet abgelehnt zu werden (Lügenpresse). Ein vielversprechender Weg ist der persönliche Dialog aus der Zivilgesellschaft heraus,

  • der den Menschen vor Augen führt, dass die Demokratinnen und Demokraten menschlich und gemeinwohlorientiert sind und ethisch handeln.
  • Der thematisiert, was konkret im eigenen Umfeld passieren wird, wenn PiS „aufräumt“, „repariert“ oder den Rechtstaat abschafft.
  • Der die solidarischen, nach Respekt und Selbstwirksamkeit dürstenden Dispositionen des Menschen stärkt und diese Haltung im lokalen beginnend in soziale Politik überführt – von fairen Dialogen bis konkretem politischen Engagement und zu neuen NGOs.
  • Der Warschauer Eliten und lokale Aktivisten aus dem ganzen Land aus verschiedenen Engagementbereichen zusammenbringt (und sogenanntes „überbrückendes soziales Kapital“ erzeugt)
  • Der Spiritualität als Mittel individueller Befreiung, Hoffnung und Liebe erlebbar macht und ein Gegenprogramm zur Kirche der Angst anbietet – „von guten Mächten treu und still umgeben…“

Bei der demokratischen Bewältigung autoritärer Regime scheint die Strategie nicht zu verfangen, die viele Liberale anwendeten, indem sie die gute Rationalität der schlechten Emotion entgegenstellten. Erfolgversprechender und glaubwürdiger ist derjenige, der zwischen guter und schlechter Emotion zu unterscheiden weiß.  Menschlichkeit, Verständnis für die Ängste Anderer, Solidarität und Zuversicht können etwa diese konstruktiven emotionalen Ressourcen sein, die eine demokratische Bewegung von unten tragen könnten. Dazu muss man diese sicherlich zuerst bei sich als Kompetenz anerkennen. Mögen machtbewusste Politiker vom Schlage eines Kaczynski über solche zur Schau gestellte „Gutmenschlichkeit“ lachen, aber wenn man nicht nach ihren Regeln in das Spiel einsteigen möchte oder kann, bleibt einem nur, die Spielregeln aus der Gesellschaft heraus zu verändern.

Nächster Teil

Im zweiten Teil soll es um einen weiteren Kern der politischen Ideologie der PiS gehen, um ihr Verhältnis zur sozialen und politischen Vielfalt. Wie hält es Kaczyńskis Bewegung mit dem Pluralismus?