Anthony Dworkin vom pro-europäischen Thinktank European Council on Foreign Relations betrachtet die Entwicklung nach Snowden aus einer europäischen und politischen Perspektive. Für ihn sind sie ein munteres Nebeneinander verschiedener Reaktionen in ganz Europa. Manche Länder nehmen Überwachung nun zwar ernster, doch in anderen ist das Thema bisher weder im Fokus der Medien noch in der Politik wirklich angekommen.
Immerhin in Brüssel führten Snowdens Enthüllungen vor einem Jahr zu deutlichen Reaktionen vom Europäischen Parlament und der Kommission. Anschließend haben die Staaten das Thema Überwachung und Recht auf Privatsphäre ohne Einbindung der EU-Kommission weiter diskutiert. Der Kommission sei in diesen wichtigen Fragen lediglich die Kompetenz für kommerzielle Regulierungen geblieben. Deshalb versuche sie den Einfluss der amerikanischen Geheimdienste stärker zu regulieren. Hintertüren sollen geschlossen und das allgemeine Datenschutzniveau gehoben werden.
Dworkin diagnostiziert, dass aktuell in den meisten EU-Ländern der politische Elan für das Thema nachgelassen hat. Auch das EU-Parlament oder die EU-Kommission können nur schwer in die Offensive gehen, weil ihr größtes Faustpfand zur Zeit die Blockade des transatlantischen Freihandelsabkommens ist.
Damit hängt das Thema an den Gerichten. Der Europäische Gerichtshof beispielsweise könnte die Europäische Menschenrechtskonvention schärfer auslegen. Auch der Europarat nimmt sich mit seinen Menschenrechtsbeauftragten dem Recht auf Privatheit verstärkt an.
Und langsam sehen auch einige Unternehmen ihr Geschäftsmodell bedroht – schließlich beruht es auf dem Vertrauen der Kunden. Zu den Unternehmen gehören auch Big-Data-Nutzer, die nun ihre Leidenschaft für Verschlüsselung entdecken. Sie treiben die technologische Entwicklung von Sicherheitsfeatures und deren Verbreitung voran.
Soweit der plausiblen und perspektivenreichen Einordnung. Dworkin fordert darauf, dass auf europäischer Ebene neue Standards gesetzt werden sollen und durch eine „offene und realistische Debatte“ das Verhältnis von Recht auf Privatheit, Sicherheitsinteressen und demokratischer Legitimität wieder ausbalanciert wird. Vordringlich sei auch ein transatlantischer Dialog über die zukünftigen Grenzen von Big Data zu führen.
Aus Sicht der Zivilgesellschaft und der Advocacy für digitale Bürgerrechte stellen sich hier notwendige Anschlussfragen. So unterscheidet sich der Sicherheitsbegriff der Länder deutlich von dem der zivilgesellschaftlichen Akteure. Seit Snowden weiß man, dass es eben nicht bei ein wenig Überwachung bleibt. Doch wie groß sind überhaupt die Spielräume für Verhandlungen zum Datenschutz, zum Recht an den eigenen Daten und zum Schutz der Privatsphäre, wenn schon ‘ein wenig’ nicht möglich ist?
Damit überschneiden sich mittlerweile die Interessen von der durch Digitalcourage oder das Netzwerk European Digital Rights (EDRi) vertretenen Minderheit in der Zivilgesellschaft mit denen mancher Lieblingsgegner aus der Wirtschaft.
- Dieser Artikel wurde zuerst im Blog von Digitalcourage veröffentlicht.