Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht – Jan-Hinrik Schmidt – Rezension

Jan-Hinrik Schmidt: Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt, 2022, 88 Seiten. Erschienen in: Außerschulische Bildung – Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung 01/2023

Zwischen Partizipations­versprechen und Algorithmenmacht“ ist ein um Verständlichkeit wie um analytische Schärfe bemühter Einstieg in die Frage, wie Politiker*innen soziale Medien nutzen und soziale Medien Politik und den gesellschaftspolitischen Diskurs beeinflussen. Der Inhalt der 88-seitigen Broschüre ist von einer realistischen und post-digitalen Grundhaltung geprägt, obwohl Schmidt, Forscher am Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut, diesen Begriff selbst nicht benutzt. Denn dies ist keine um Effektmalerei und die Schilderung von allerlei Neuem und Grenzüberschreitendem bemühte Digitalprosa. Schmidt nimmt selbstverständlich an, dass wir schon längst nicht mehr Zuschauer*innen der digitalen Transformation sind, sondern Dauerbewohner*innen einer digital-analog verwobenen Lebenswelt.

Zunächst zeichnet der Autor nach, wie die politische Kommunikation sich in den letzten Jahren verändert hat. Diese ist verschränkt mit den sich verändernden Mediengewohnheiten in der Bevölkerung. Einerseits sollte man den Dauertrend Social Media zur Informationsbeschaffung zur Kenntnis nehmen, jedoch auch nicht das Fernsehen und traditionelle Medien mit ihrer insgesamt nach wie vor großen Reichweite unterschätzen.

Geändert hat sich die Medienlogik, die Art und Weise, wie Medien Nachrichten auswählen, verbreiten und gewichten. Denn soziale Medien sind keine Inhalteersteller, sondern Plattformen. Gleichzeitig sind diese Plattformen nicht neutral, sondern üben Einfluss aus, bei der „Ent- und Neubündelung“ von Informationen (S. 35), oft individualisiert, somit algorithmisch kuratiert und ständig aktualisiert. Kommunikation wird responsiv: Frühere Nur-Leser*innen sind nun Konsument*innen (lesend, suchend) und Produzent*innen (teilend, kommentierend, selbst Inhalte erstellend, Metadaten-Produzent*innen). Statt nun Hate, Fake, Echokammern zu evozieren und es dabei zu belassen, setzt sich Schmidt kritisch mit den Begriffen auseinander.

Im Weiteren geht es darum, wie soziale Medien das politische Engagement selbst verändern. Social Media unterstützt die Positionierung, vereinfacht das öffentliche Engagement und hilft, Andere zu aktivieren. Im „kollektiven Handeln“ sieht der Autor eine neue Qualität der digital unterstützten oder ermöglichten Selbstorganisation von Bürger*innen. Digitalität ist dabei Mittel zum Zweck, der Hauptfokus ist die reale politische Veränderung, organisiert von realen Menschen die nicht alleine im Netzaktivismus, sondern in ganz realen Demonstrationen oder Treffen sichtbar wird.

Heißt das jetzt, digital ist nur ein Hype? Nein, denn selbstverständlich können Kampagnen und Aktion in Social Media einen sehr großen und nachhaltigen Einfluss haben. Unterschätzen wir nicht die „Hashtag-Öffentlichkeiten“. Jedoch scheint Social Media Reichweite mit analoger Reichweite und analogem Einfluss gekoppelt zu sein. Ergänzt sei, dass es für bislang Unterrepräsentierte, die über das Digitale sichtbarer geworden sind, nicht einfach werden wird, dauerhaft und strukturell an Einfluss zu gewinnen.

Im letzten Kapitel schließlich geht es um die Instrumente, mit denen demokratische Standards in Social Media implementiert und durchgesetzt werden. Er benennt: gesetzliche Vorgaben und Vorschriften, Verträge/Geschäftsbedingungen, soziale Normen und die technische Konstruktion der Plattformen selber. Gut, dass diese Dinge sauber auseinandergehalten werden.

Etwas schade, dass er an dieser Stelle allmählich zum Ende kommen muss. Aber das ist vielleicht etwas für den nächsten Band über Social-Media-Governance oder noch besser Internet-Governance (da Social Media wesentlicher Teil des globalen Plattformökosystems bzw. -kapitalismus ist). Denn einiges, was in den letzten Jahren in Europa an Regulierung eingefordert, angeschoben oder sogar umgesetzt wurde, wartet auf eine systematische und verständliche Vermittlung, besonders in den Feldern, die Schmidt sehr wichtig sind: Eindämmung von Hassrede, Sicherstellung von Informationspluralismus, Schaffung algorithmischer Transparenz und Eindämmung des Plattformkapitalismus.

Alles in allem 88 erklärende Seiten, in Urteil und Beschreibung uneitel, realistisch und faktenbasiert, verständlich und klar.