Beitrag: Zukunftskompetenzen

Erschienen in: Die Zukunft beginnt heute… Die neue Realität des internationalen Austausches mit Jugendlichen in der Hauptrolle.
Materialien der internationalen Konferenz in Kreisau vom 16.–18. Oktober 2023 | online

Kompetent handeln heißt, dass Menschen ihr Wissen, ihre Einstellungen und praktischen Fähigkeiten in einer spezifischen Situation erfolgreich anwenden können.

„(Kompetenz) schließt die Fähigkeit ein, auf komplexe Anforderungen zu reagieren, indem psychosoziale Ressourcen (einschließlich Fähigkeiten und Einstellungen) in einem bestimmten Kontext genutzt und mobilisiert werden.“ (OECD, 2005)

Für gewöhnlich werden Kompetenzen als die Schnittmenge von Wissen, praktischen Fähigkeiten und Haltungen/Einstellungen verstanden. Der Beitrag betrachtet „Zukunftskompetenzen“ im Kontext von Vorstellungen kompetenzbasierten Lernens und mit einem speziellen Augenmerk auf demokratische Kompetenz als Element transformativen Lernens.


Lebenslange Bildungsperspektive

Aus dem Blickwinkel des lebenslangen Lernens verbringen Menschen nur eine relativ kurze Zeit in Bildungseinrichtungen. Außerhalb formaler Bildungseinrichtungen entwickeln sie sich weiter, gewinnen neue Erkenntnisse und formen ihre Persönlichkeit. Diese Perspektive des Lernens als kontinuierlicher, transformativer und vielfältiger Prozess wird für Gesellschaften im Umbruch immer wichtiger. Diejenigen, die sich als Lernende verstehen, müssen daher insbesondere die Fähigkeit entwickeln, ihre eigenen Lernwünsche zu reflektieren und zu artikulieren, sowie unabhängig von einer begleitenden Bildungsstruktur zu lernen.

Kompetenzorientierte Bildungsangebote vermitteln daher nicht nur Inhalte, sondern unterstützen immer auch die Entwicklung dieser transversalen Kompetenzen. „Transversal“ beschreibt Kompetenzen, die in vielen verschiedenen Situationen nützlich sind, insbesondere diejenigen Kompetenzen, die in nahezu jeder Art von Tätigkeit, beim Lernen oder in der Arbeit hilfreich sein können (Hart et al., 2021). Kontinuierlich lernende Menschen sind zudem auf Bildungsangebote angewiesen, die in allen Lebensphasen offen sind.

Gerade die non-formale Bildung hat hier einiges zu bieten, da sie nicht an formale Bildungswege gebunden ist, auf aktuelle Bedürfnisse reagieren kann und somit auch unter den Bedingungen des gesellschaftlichen und demografischen Wandels reaktionsfähig ist. Zukunftskompetenzen sind somit die Kompetenzen, die Menschen helfen, sich in der zukünftigen Welt – ohne dass wir wissen, wie diese genau aussehen wird – zurechtzufinden und die ihnen helfen, ihren Weg in diese Zukunft zu finden. Sie sind also Teil einer transformativen Bildung und bauen stark auf transversalen Kompetenzen auf. (LINK)


Die Perspektive der Nachfrageseite

Um zu erfahren, welche die zukünftig relevanten Fähigkeiten sind, lohnt sich ein Blick auf die Nachfrageseite.

  • Der OECD Skills Outlook informiert jährlich auf der Basis der OECD Erhebungen. PISA und PIAAC heißen die Programme der OECD, die die Leistungsfähigkeit der Schul- und Erwachsenenbildung in den OECD-Ländern messen.
  • Der Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission enthält einige Kennzahlen zur digitalen Transformation, auch zur digitalen Bildung in der EU. Der European Skills Index des Europäischen Zentrums für berufliche Bildung vergleicht die Ausbildungssysteme in Europa und wie sie die Bedarfe bedienen.
  • Durchsicht der Online-Stellenanzeigen in Europa (Skills-OVATE)

Job Polarisation in Europe 1995–2015

Ein globaler Trend ist die Jobpolarisierung, also der Rückgang von Arbeitsplätzen im mittleren Bereich zugunsten schlecht oder hoch qualifizierter Beschäftigungen.

Siehe dazu: Entwicklung der Anzahl von Jobs nach Fähigkeitsanforderungen in verschiedenen europäischen Regionen.


Kritischer Blick auf Metakonzepte

Zukunftskompetenzen erklären, welche Fähigkeiten wahrscheinlich in Zukunft benötigt werden, sind also immer auch spekulativ und enthalten normative Annahmen, auf deren Basis sie, etwa für Bildungsreformen und Advocacy, formuliert wurden.

  • VUCA: volatility, uncertainty, complexity, ambiguity wurde im United States Army War College entwickelt
  • Das 4C-Model: communication, collaboration, creativity, critical thinking – geht auf die Organization Partnership for 21st Century Learning zurück und wurde von der OECD verbreitet
  • Transformative Kompetenzen: creating new value, reconciling tensions and dilemmas, taking responsibility – sind die Schlüsselkompetenzen des OECD-2030-Projekts
  • Die EU-Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen wurden 2006 veröffentlicht und 2018 erneuert. Sie umfassen Lese- und Schreibkompetenz; Mehrsprachenkompetenz; mathematische Kompetenz und Kompetenzen in Naturwissenschaften, Informatik und Technik; digitale Kompetenz; persönliche, soziale und Lernkompetenz; Bürgerkompetenz (civic); Entrepreneurship-Kompetenz; Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit.

Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Perspektive der Lernenden – und welcher Lernenden – Eingang in diese Konzepte gefunden hat und inwieweit die Konzepte in verschiedenen Kontexten auf ihre Durchführbarkeit und Zukunftsfähigkeit hin getestet worden sind.


Die Demokratieperspektive

Wenn die Demokratie die politische Leitidee für unser Zusammenleben ist, müssen auf die Zukunft gerichtete Kompetenzvorstellungen diese Ausrichtung reflektieren. Wie verstehen sie demokratiebezogenes Lernen in diesem Zusammenhang?

  • EU: Obwohl Bürgerkompetenz zu den Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen gehört, ist das Konzept nicht weiter ausformuliert. Einige für demokratische Bildung und Menschenrechtsbildung relevante Aspekte sind Bestandteile anderer Kompetenzrahmen (für andere der acht Kompetenzen). An erster Stelle in der JRC Publications Repository – EntreComp: The Entrepreneurship Competence Framework (Entrepreneurship Competence Framework). Andere Teilkompetenzrahmen sind DigComp (Digitalkompetenz), GreenComp und LifeComp (Lernen zu Lernen).
  • Europarat: Entwickelte den Kompetenzrahmen Kompetenzen für eine demokratische Kultur (RFCDC) – explizit unterstützt er demokratiebezogenes Lernen mit dem Schwerpunkt auf Schulbildung. Nicht sehr transformativ angelegt. Zu den neuesten Entwicklungen gehören die Digital Citizenship Education, die durch RFCDC inspiriert wurde sowie die Beschreibung einer rechtebasierten digitalen Bildung.

Ein generelles Dilemma von Kompetenzrahmen ist, dass Transformationen und gesellschaftliche Entwicklungen oft sehr dynamisch verlaufen. Demokratiebezogene Bildung muss auf diesen Wandel reagieren, während die Kompetenzrahmen eher statisch bleiben.

Politische Bildung und Menschenrechtsbildung füllen Leerräume aus, die andere Konzepte oft entstehen lassen. Denn sie stärken systemisches und kritisches Denken, regen zu aktiver Partizipation und Selbstorganisation an und fördern soziale Kompetenzen. Deshalb lässt sich ihre Methodik und Haltung in holistische Konzepte transformativen Lernens gut integrieren.

Bildungspolitik ist in Europa Sache der Nationalstaaten. Diese haben unterschiedliche Vorstellungen davon, welche funktionale Rolle Demokratie- und Menschenrechtsbildung spielen soll, insbesondere die aktive und auf zivilgesellschaftliches Engagement bezogene Bildung.


Wie mit Kompetenzen arbeiten?

Kompetenzrahmen tragen zu einem systematischeren Verständnis transversaler Kompetenzen bei. Sie vermitteln eine Vorstellung, wie diese Kompetenzen sich zueinander verhalten oder welche Aspekte sie abdecken.

Sie sind auch als Planungs- und Reflexionstool nutzbar: Zur Inspiration von Akteur:innen im Bildungsbereich, sie unterstützen eine konsequente Fokussierung auf einzelne Lernende oder können das Selbstlernen unterstützen, weil sie Deskriptoren anbieten, die man dann für Planung und Reflexion/Evaluation nutzen kann.

Allerdings haben die Rahmen verschiedene Qualitäten. EntreComp, DigComp oder die Kompetenzen für demokratische Kultur beinhalten Beschreibungen für verschiedene Fähigkeitsniveaus und sind auch besser erprobt. So können sie pädagogischen Fachkräften direkt zur Planung und als Vorlage für Reflexionsbögen, -gespräche oder Selbstlerntools dienen.

Andere, wie GreenComp oder Digital Citizenship Education, beschreiben eher einen Ansatz oder bieten eine ganz spezielle Perspektive an. Es gibt keinen universellen Kompetenzrahmen. Pädagog:innen müssen sich auf sinnvolle und systematische Weise zusammensetzen und etwa folgende Aspekte in Einklang bringen:

  • Erwartungen von Lehrenden und Lernenden in Bezug auf das Thema,
  • die zu adressierende spezifische Kompetenzdimension,
  • wesentliche übergreifende Kompetenzen,
  • rahmensetzende Lehrpläne.

Kompetenzrahmen könnten auch eine ganzheitlichere Sicht vorgeben, als sie de facto integrieren. Alle haben Leerstellen, insbesondere aus der Perspektive der demokratiebezogenen politischen Bildung. Sie sollten so genutzt werden, dass sie relevanteres Lernen und bessere Qualität unterstützen, nicht aber eine neue technokratische Ebene hinzufügen.

Kompetenzen zu fördern bedeutet, Fähigkeiten, Wissen und Einstellungen die gleiche Bedeutung beizumessen, während traditionell vor allem ein Schwerpunkt auf die Vermittlung von Fertigkeiten (etwa in der Berufsbildung) oder Wissen (etwa in der akademischen Ausbildung) gesetzt wird.

Kompetenzbasiertes Lernen, das transversale Kompetenzen stärkt, ist auch nicht von einer bestimmten Nachfrage geleitet und in diesem Sinne instrumentell. Dies werfen Kritiker:innen dem Ansatz der Kompetenzorientierung oft vor. Viele, die Kompetenzorientierung auf ihre Fahnen schreiben, betreiben zudem eine auf spezielle Anwendungsszenarien optimierte Bildung.


Referenzen

Europarat (2018). Reference Framework Competences for a Democratic Culture. Volume 1 Context, concepts and model; Volume 2 Descriptors of competences for democratic culture; Volume 3 Guidance for implementation. Council of Europe Publishing: Strasbourg, ISBN 978-92-871-8573-0 (three-volume box set), [Zugriff: 24.11.2023]

European Commission, Joint Research Centre, (2022). GreenComp, the European sustainability competence framework, Publications Office of the European Union. https://data.europa.eu/doi/10.2760/13286 [Zugriff: 24.11.2023]

European Commission, Joint Research Centre, Bacigalupo, M., Kampylis, P., Punie, Y. (2016). EntreComp: the entrepreneurship competence framework, Publications Office. https://data.europa.eu/doi/10.2791/160811 [Zugriff: 24.11.2023]

European Commission, Joint Research Centre, Sala, A., Punie, Y., Garkov, V. (2020). LifeComp: the European Framework for personal, social and learning to learn key competence, Publications Office of the European Union. https://data.europa.eu/doi/10.2760/302967 [Zugriff: 24.11.2023]

Europäische Union (2018). Council Recommendation of 22 May 2018 on key competences for lifelong learning (Text with EEA relevance.) ST/9009/2018/INIT, OJ C 189, 4.6.2018, p. 1–13. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32018H0604(01) [Zugriff: 24.11.2023]

Hart, J; Noack, M.; Plaimauer, C.; Bjørnåvold, J. (2021). Towards a structured and consistent terminology on transversal skills and competences. 3rd report to ESCO Member States Working Group on a terminology for transversal skills and competences (TSCs). 02 June 2021.

CEDEFOP – European Centre for the Development of Vocational Training — OECD (2019) OECD Future of Education and Skills 2030. Conceptual learning framework. Transformative Competences for 2030. [Zugriff: 24.11.2023]

OECD (2005). DeSeCo – Definition and Selection of Competences: Theoretical and Conceptual Foundations. Definition and Selection of Key Competences – Executive Summary

Vuorikari, R., Kluzer, S. and Punie, Y. (2022). DigComp 2.2: The Digital Competence Framework for Citizens – With new examples of knowledge, skills and attitudes, EUR 31006 EN, Luxemburg: Publications Office of the European Union. ISBN 978-92-76-48883-5, https://doi.org/10.2760/490274, JRC128415.

F: wallhere